Donnerstag, 25. Juli 2013

Bilanz - mein Leben in einem kapitalistischen Land

Teil 4 - Mutter sein heißt lieben, kämpfen und nie die Hoffnung verlieren

Am 20. Oktober 1972 kam unsere Tochter Vanessa auf die Welt. Ich hatte eine grässliche Hebamme, die zu mir sagte: "Oh Sie sind ja selbst noch ein Kind und nun bekommen Sie ein Kind." Sie schätzte den Zeitpunkt der Geburt völlig falsch ein und verhinderte dann gewaltsam die Presswehen, weil sie versäumt hatte, einen Arzt anzurufen, als Vanessa auf die Welt wollte. Es kam dadurch zu Komplikationen und als der Arzt endlich kam, hatten die Wehen ausgesetzt. Deshalb schloss sie dann einen Wehentropf an und ich kriegte fürchterliche Krämpfe und bei Vanessa setzten vorübergehend die Herztöne aus. Es ist aber alles gut gegangen, sie hatte nur einen knallroten Kopf.
Besonders gut gefallen haben mir an Vanessa ihre langen schwarzen Haare. Sie hatte von allen meinen Kindern bei der Geburt die längsten Haare.
Ich weiß noch, wie meine Zimmerkollegin meinte, ihr Sohn wäre schöner als meine Tochter und ich plötzlich sehr böse wurde und zu der Frau sagte: "Was mit der Glatze?". Ihr Sohn hatte nämlich nicht ein Haar auf dem Kopf.
So schnell beginnt auch ein halbes Kind zu lieben, wenn es Mutter wird.
Obwohl ich mir nie Kinder gewünscht habe, war es von Stund an anders, als Vanessa auf der Welt war. Alle anderen Kinder von mir waren Wunschkinder.
Ich habe sehr früh begonnen, wieder zu arbeiten. Das musste sein. Mein Mann war zwar von dieser Psychologin für volljährig und ehetauglich erklärt worden, aber das war er nicht. Ich mag mein Leben lang eine Mama-Kind gewesen sein, aber mein Mann hatte kein Verantwortungsgefühl und kein Pflichtbewusstsein, auch wenn er seine Kinder auf seine Art sicherlich geliebt hat und es wohl auch noch tut.
Liebe heißt aber auch Verzicht und Sorgen, aber das konnte mein Ex-Mann nie. Er verlor schon im ersten Jahr 2 x einen Job als Fliesenleger bei zwei großen Firmen in Kiel, weil er einfach nicht zur Arbeit ging. Später fing er als Fahrer eines Leserkreises an und wurde wegen Unterschlagung dort entlassen, ebenfalls auf dem Fischmarkt aus dem gleichen Grund. Das war mir damals aber auch deshalb recht, weil die Fahrer auf dem Seefischmarkt so viele Überstunden machten, dass mein Ex mal unterwegs im Laster eingeschlafen und auf dem Randstreifen gelandet war. Es würde so bleiben mit seinen Jobs. So lange wir noch in meinem eigenen Haus lebten war er noch kurz bei einem Fliesenlegerbetrieb in Preetz, später bei einem Ofensetzer in Plön, in einer Schmalzfabrik und bei Max Bahr. Mein Leben sah so aus, dass er entweder kein Geld mehr bekam, weil er es alles als Abschlag bekommen hatte oder anfing zu unterschlagen oder zu stehlen und ich sehen musste, dass ich das Haus belaste, um zu verhindern, dass er wegen Unterschlagung oder Diebstahl im Gefängnis landete. Meine Mama machte also den Haushalt und ich habe gearbeitet und hatte deshalb nie viel Zeit, eine eigene Bindung zu meinen Kindern aufzubauen. Ich hatte immer nur damit zu tun, dafür zu sorgen, dass sie mit diesem Vater überhaupt überleben konnten.
Wenn mein Mann Mist gebaut hatte, weinte er, entschuldigte sich, versprach, es nie wieder zu tun. Einmal hat er sogar meine Unterschrift gefälscht, einen Kredit aufgenommen, nicht eine Rate davon bezahlt und die Pfändung in die Firma schicken lassen, in der ich arbeitete. Ich war ahnungslos, als die bei uns in der Lohnbuchhaltung landete, ging wütend zu dieser Bank und erfuhr, dass auf Urkundenfälschung 5 Jahre Haft stehen. Also sagte ich, es sei meine Unterschrift. Er hat sie in unserem Familienstammbuch abgepaust, was ich später entdeckt, als ich dieses Buch wieder gebraucht habe.
Als dieses Foto gemacht wurde, war Manuel auch schon auf der Welt, unser 2. Kind, der am 3.8.84 geboren wurde. Eine ganz leichte Geburt. Ich wäre fast nicht mehr bis in die Klinik gekommen. Mein Ex hatte sich so einen Sohn gewünscht. Warum hat er nie begriffen, dass man für Kinder auch arbeiten und sorgen muss, weil sie zu lieben nicht ausreicht. Sie wollen essen, trinken, wohnen und brauchen Spielzeug und Kleidung und so vieles mehr, um überleben zu können.
Ich arbeitete von Januar 1973 bis 1978 bei Fa. Schön in Preetz, einer Fleischwarenfabrik, im Vertrieb. Der Job war gut für eine junge Mutter, weil ich um 6 Uhr früh anfangen konnte zu arbeiten und meine Mutter mich um 15.00 Uhr mit dem Kinderwagen abholte, damit ich Zeit mit meinen Kindern verbringen konnte. Meine Kinder waren mein Lebensinhalt und der von meiner Mama ebenfalls. Und mein Ex-Mann war wie ein weiteres Kind, ein sehr ungezogenes, das meine Mama und ich auch mit versorgt und beschützt haben.
Ein Partner war er mir leider nie und vermutlich habe ich ihn deshalb auch zunehmend eher wie ein 5. Kind geliebt, dem ich nicht vertrauen konnte. Wie denn auch? Er hat mich ja laufend belogen und sich ständig irgendwo strafbar gemacht.
1979 hatte ich eine Fehlgeburt. Das war kein Wunschkind. Meine Tochter Esther, die am 9.5.1981 auf die Welt kam .. hier mit Manuel und Vanessa und unserer Dackelhündin Susi .. dann aber ja genauso wie ihr kleiner Bruder, den wir danach noch bekommen haben, damit Esther auch ein gleichaltriges Geschwister hätte. Esther war auch eine ganz leichte Geburt und hatte fast genauso viele Haare wie ihre große Schwester, ein bisschen kürzer allerdings.
Wir hatten übrigens zwei Dackel, vorn Tessa und dahinter Susi. Die zwei waren aus einem Wurf von meinen Schwiegereltern und leider genauso bissig wie ihre Mutter und auch ihre Geschwister. Ich musste Susi und Tessa ins Tierheim bringen, als Esther laufen lernte und habe dafür den schwarzweißen Mix Susi II mitgenommen. Seitdem habe ich jeden Hund immer aus dem Tierheim geholt. Susi und Tessa fanden gute Herrchen und Frauchen in einem Rentnerehepaar ohne kleine Kinder, was mich sehr beruhigt hat.

Als Esther ganz klein war, lernten Manuel und Vanessa in der Reitschule Först auf Gläserkoppel auf Toby und Sissy reiten. Vanessa hatte sich das immer so sehr gewünscht. Das ich später begann, eigene Pferde zu halten, hatte sehr viel mit Vanessa und ihrer Begeisterung für Pferde zu tun.

Ich habe damals nicht mehr bei Schön gearbeitet, sondern hatte nach einem Großbrand meinen Job dort verloren, ein Jahr lang in der Farbenfabrik Hansa-Höeg in Kiel als Assistentin des Personalchefs und Verkaufsleiters gearbeitet, bis die Firma ihren Sitz nach Heidelberg verlegte, kurz begonnen, in der Tischlerei Hans Rathje in Schellhorn zu arbeiten als Allround-Büro-Kraft und dort meinen Job verloren, als ich bei Bekanntwerden der Schwangerschaft, die eine Fehlgeburt werden sollte, ehrlich gesagt hatte, dass ich schwanger sei .. in der Probezeit. Herr Rathje meinte nur, ob er denn in der Firma die Pille verteilen müsse und hat mich einfach entlassen. Nett nicht? Das war schon das 2.Mal, dass ich aufgrund einer Schwangerschaft einen Job verloren hatte.
Als Esther auf die Welt kam, arbeitete ich bei Dr. Ing. Hell Kiel in der Textverarbeitung und war in erster Linie für englische Korrespondenz zuständig. Das war ein sehr gut bezahlter Job mit pünktlich Feierabend und eignete sich gut, mit meiner Mutter gemeinsam für die Familie, genug Geld, aber auch den Haushalt und noch ein wenig für die Kinder und Zeit mit ihnen zu sorgen.
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Den Job bei Dr.-Ing. Hell hatte ich länger. Ich war dort auch noch, als Marius, mein Kleiner, auf die Welt kam. Ich hatte bei Marius' Geburt einen Herzstillstand, wurde reanimiert und er trug dadurch leichte spastische Lähmungen davon. Mit dem Job bei Dr.-Ing. Hell vertrug es sich, dass ich Marius immer beturnen musste und viele Termine bei verschiedenen Physiotherapeuten, Kinderärzten usw. hatte. Ich hatte da ja schon nachmittags Feierabend.
Tja .. das ist Marius schon mit mir zu Hause nach dieser traumatischen und lebensgefährlichen Entbindung am 1. Tag seines Lebens, dem 23.4.1983.
Mein Ex ließ sich sterilisieren, weil ich bei Musels Geburt (das ist sein Spitzname) fast gestorben wäre und feststand, dass ich mit meinem Herzfehler vermutlich eine weitere Entbindung nicht überleben würde. Ich fand das sehr lieb von ihm, aber danach fing er an, außer dem ständigen Stehlen und Lügen auch noch laufend fremdzugehen. Es konnte ja nichts passieren, denke ich mal, so wird er gedacht haben.
Mit den vier Kindern war es nötig, zu Hause was anzubauen. Mein Ex-Mann als Fliesenleger machte das sehr schön. Er überredete mich auch, es größer zu machen als geplant. Ich hatte nämlich einen Bausparvertrag ausgezahlt bekommen und wollte eigentlich nicht mehr Geld aufnehmen. Als ich versuchte, das zu sagen, schlug mein Ex-Mann mich das erste Mal brutal mit der Faust ins Gesicht. Ich hatte ein dickes blaues Auge und dachte, wenn es ihm so wichtig ist, ein ganz tolles Haus zu bauen, dann muss ich wohl zustimmen. Ich hätte es nicht tun sollen.

Da hatten wir dann also ein toll verklinkertes Haus, Rundbögen überall zwischen den Räumen, ein Riesenblumenfenster, einen gepflasterten Hof, eine Doppekgarage und eine ganz tolle Terrasse in zwei Etagen, für die ich selbst wochenlang Steine mit einem Blumenmuster in einer Form gemacht hatte und alles weiß gestrichen, den Garten ganz neu angelegt, als alles fertig war .. und durchaus noch immer eine Chance, denn wir hatten ja Mama und beide einen Job.

Und mein Ex klaute wieder mal bei Max Bahr und flog erneut fristlos raus. Und fand dann Arbeit im Außendienst in Hamburg ... extrem gut bezahlte Arbeit und hat mir unter Tränen versprochen, er würde nie mehr was stehlen und es würde alles gut.
Also vermieteten wir unser Haus und zogen in ein Reihenhaus nach Henstedt-Ulzburg in die Nähe von Hamburg.
Und ich gab meinen guten Job bei Dr.-Ing. Hell auf.
Letzte Bilder zu Hause in Schellhorn ..hier Manuel und Vanessa mit Susi II.



Sokrates Ratte










Ratten sind so intelligente Tiere, aber sie leben höchstens 3 Jahre. Ich habe sehr an diesem Ratterich gehangen.







Unsere vier Kinder und Susi II noch in Schellhorn.
 
 
 
Marius und ich.


Mein Ex, die Kinder und unser nagelneuer Toyota-Bus neben unserem eigenen Haus in Schellhorn. Den habe ich noch neu finanzieren können.

Wir hatten durch die Tatsache, dass ich als junge Frau sehr gut verdient habe und ein komplett bezahltes eigenes Haus hatte, lange trotz vieler Tiefschläge immer wieder noch eine Chance .. mein Ex hat keine Chance genutzt, um für seine Familie Sicherheit zu schaffen. Er ist nie erwachsen geworden.


Henstedt-Ulzburg .. weg von meinen Freunden, meiner Heimat, mein Haus an fremde Leute noch gut vermietet. Mein Ex mit Kater Birbitz und Susi II. Unser Kater ging an der Leine spazieren und war sogar mit uns in Spanien im Urlaub.

Es war im Sommer 1984, als ich mit meiner Familie unsere Heimat verließ, um immer noch meinem Ex-Mann zu vertrauen in der Hoffnung, er würde endlich halten, was er mir von 1972 an laufend versprochen hat .. aufzuhören zu stehlen und zu lügen und fremdzugehen oder mich zusammenzuschlagen.




Urlaub in Spanien .. ich habe Arbeit in Hamburg gefunden. Mein Ex war Außendienstverkaufsleiter für Betonsanierung für den gesamten norddeutschen Raum mit einem Bombengehalt und ich stellvertretende EDV-Leiterin und Chefin der Textverarbeitung bei der GEMA Hamburg ... wir hatten nach wie vor eine Chance .. mein Mann hat sie uns nicht gegeben.
Ganz oben rechts auf der Treppe liegt übrigens Kater Birbitz. Der lief wie ein Hund an der Leine.
Dieses und die nächsten Fotos sind alle von einer Faschingsfeier mit Freunden in Henstedt-Ulzburg, als unser Haus in Schellhorn noch nicht zwangsversteigert war.
Als ich bei der GEMA arbeitete, hat mein Ex statt sich auf seinen Job zu konzentrieren, über 50.000 DM ausgegeben, wofür hat er mir nie gesagt und mich und auch Mama nur noch geschlagen, wenn wir es genauer wissen wollten.
Das Haus in Schellhorn wurde versteigert, der Toyota für viel zu wenig Geld billig verschleudert .. ich kriege heute noch Mahnungen wegen dieses Autos, Raten für Versandhausrechnungen und vieles mehr waren offen. Wenn ich meinen Mann zur Bank geschickt hatte, hat er nichts überwiesen, nicht die Raten für das Haus, für das Auto, für die Versandhäuser, und ich war ahnungslos.  Er erzählte mir immer, der Kontoauszugsdrucker sei kapputt. Ich dachte, er hat wieder was unterschlagen, aber ich habe nicht angenommen, dass es so viel wäre.
Als alles den Bach runter ging, waren alleine auf dem Haus über 100.000 DM nicht abgedeckt, nachdem das Haus versteigert war .. für 7/10 des amtlichen Schätzwertes, der mit nur 240.000 DM 130.000 DM niedriger ausgefallen war als der Schätzwert der Bank mit 370.000 DM.




Damals hatte ich den 1. Nervenzusammenbruch in meinem Leben und versuchte, mir das Leben zu nehmen, indem ich mich an einem Fußballtor aufhängen wollte. Aber das kippte einfach um, als ich runter sprang. Ich lag im Schlamm und habe wie ein Tier geschrien. Bin dann so nach Hause gerannt. Meine Tochter Vanessa wirft mir seitdem vor, ich sei verrückt.






Vielleicht wird jeder Mensch verrückt oder dreht wie ich damals einfach irgendwann durch, wenn er sowas immer wieder und immer wieder erleben muss .. zu hoffen, zu schuften wie ein Tier und jedesmal durch den eigenen Ehemann einen Hieb versetzt kriegt, der einem den Boden unter den Füßen wegzieht.










Hier spielen unsere Kinder noch fröhlich mit denen meiner besten Freundinnen.

Nach unserer Pleite waren unsere Freunde weg, und zwar alle.

Ich habe mir lange gesagt, Freunde gehen, wenn man kein Geld mehr hat, die Familie bleibt.

Aber das ist leider auch nicht eingetroffen.

Ich hörte auf, bei der GEMA zu arbeiten.

Es war vernünftig, das zu tun, denn mein Gehalt wurde zu 100 % gepfändet. Manuel stotterte und kam mit meiner Mutter nicht klar und Marius' Beturnerei war etwas viel für meine Mutter.

Wozu sollte ich mir eine 60-Stunden-Woche aufbürden, die meine Familie finanziell definitiv schlechter stellte, denn statt eines gekürzten Kindergeldes gab es ohne meinen Job wieder das volle Kindergeld und Wohngeld, beides nicht pfändbar .. und ich brauchte Geld, um irgendwie unsere Familie über die Runden zu bringen. Mein Gehalt war dafür nach der Zwangsversteigerung ja nicht mehr vorhanden.

Meine Mama konnte so auch Sozialhilfe beantragen, was uns ebenfalls weiterhalf, denn auch die war nicht pfändbar.

Meine Kinder haben mir heute vorgeworfen, ich sei zu faul gewesen um weiterzuarbeiten. Offensichtlich hat ihnen das mein Ex-Mann so eingeredet, um alles schönzureden, was er gemacht hat.

Ich schreibe das hier auf in der Hoffnung, dass sie es irgendwann lesen und begreifen und meine Enkelkinder ebenfalls.

Sie mögen einmal darüber nachdenken, was wirklich passiert ist.

Und meine Mama, der mein Mann dann begann die Schuld in die Schuhe zu schieben, hatte keine. Ohne sie wäre es alles noch viel schlimmer gewesen.

Wenn ich einen Fehler gemacht habe, dann den, nicht sofort bei der ersten Unterschlagung die Scheidung einzureichen, aber dann gäbe es heute nur Vanessa und nicht auch Manuel, Esther und Marius.

Ich sehe das fatalistisch.

Es war Vorsehung, dass sie geboren werden sollten und zwar mit diesem Vater.

Vielleicht verstehen sie irgendwann diese Logik, mit der ich erkläre, dass es anders eben nicht hätte passieren können.

Im Dezember 1987 zogen wir zurück nach Preetz in unsere Heimat. Ich erzähle Euch bald, wie es dann weiterging.

LG
Renate

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